Forum Nachhaltig Wirtschaften (02/21)

Markus Zeilinger, CEO und Gründer der fair-finance Vorsorgekasse und Vorstandsmitglied im Forum Nachhaltige Geldanlagen, sprach mit forum-Redakteur Lennart Zech über die Taxonomieverordnung und hinterfragte die praktische Umsetzung.

Klassifizierung vs. Green-Washing - wer prüft?

EU-Taxonomie: von der Verpflichtung zur Verordnung

Die neue Offenlegungsverordnung der EU sorgt für eine leichtere Bewertung und Beurteilung von Unternehmen hinsichtlich ESG-Kriterien. Das Ziel: Wirtschaftsaktivität ohne Schäden! Das beeinflusst auch die Finanzmarktakteure. Das Problem: Transparenz und Vergleichbarkeit über die Art und Weise der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken und -faktoren in der jeweiligen Anlagestrategie und in der Vergütungspolitik fehlen. forum-Redakteur Lennart Zech hat mit fair-finance-CEO Markus Zeilinger einen Blick in die Taxonomieverordnung geworfen und die praktische Umsetzung hinterfragt.

Herr Zeilinger, die Offenlegungsverordnung der EU ist seit 10.03.2021 in Kraft. Was hat sich geändert?

Die Offenlegungsverordnung ist einer der drei Bausteine zur Schaffung von Transparenz und zur Lenkung von Kapitalströmen in Richtung nachhaltiger Investitionen – umgangssprachlich als „Green Deal“ bezeichnet. Begonnen hat es 2017 mit der Verpflichtung für Großunternehmen, über nicht-finanzielle Aspekte ihrer Geschäftsaktivitäten zu berichten. Diese Non-Financial Reporting Directive (NFRD I) wurde überarbeitet und brandaktuell am 21.04.2021 in Form der Corporate Sustainability Reporting Directive (NFRD II) veröffentlicht. Der Kreis der Berichtspflichtigen wird dadurch deutlich erweitert, die Angaben weiter standardisiert und die Verpflichtung zur externen Prüfung eingeführt. Die Bewertung und Beurteilung von Unternehmen hinsichtlich ESG-Kriterien wird zukünftig noch leichter und Analyseergebnisse von Research- und Ratingagenturen sollten nicht mehr so streuen wie zuletzt.

Was bringen diese nicht-finanziellen Unternehmensdaten, auf die die Taxonomieverordnung aufbaut?

Anhand der EU-Taxonomie, einer Liste von wirtschaftlichen Aktivitäten und relevanten Kriterien, kann festgestellt werden, ob die Wirtschaftsaktivität einen ökologisch nachhaltigen Beitrag zur Erreichung der definierten sechs Umweltziele leistet. Die soziale Dimension und Governance-Aspekte fehlen noch gänzlich im Regelwerk. Die Wirtschaftsaktivität muss einen wesentlichen Beitrag zu einem der Umweltziele leisten, ohne zu einem Schaden im Sinne eines der anderen Ziele zu führen. Hinsichtlich der ersten beiden Umweltziele wurde nach mühevollen Verhandlungen am 21.04.2021 eine politische Einigung erzielt, welche nun in der entsprechenden, delegierten Verordnung zur EU-Taxonomie festgehalten wird. Etwa 40 Prozent der börsennotierten Unternehmen, welche aber für rund 80 Prozent der direkten Treibhausgasemissionen in Europa verantwortlich sind, werden von diesem Rechtsakt umfasst. Dies ist grundsätzlich wohl ein großer Schritt, wenngleich Kriterien für wesentliche Umweltsünden wie Kernkraft und Erdgas noch ausgeklammert wurden.

Inwieweit betrifft das Regelwerk der Taxonomie die Finanzmarktakteure?

Die Finanzmarktakteure benötigen das Regelwerk, um ihren Verpflichtungen gemäß der Offenlegungsverordnung nachzukommen. Seit dem 10.03.2021 müssen Investmentfirmen nun also ESG- und taxonomiebezogene Analysen und Methoden auf Webpages, vorvertraglichen Dokumenten und in periodischen Berichten offenlegen.

Und wie sieht es in der Praxis aus?

Ein aktueller Blick auf einige Internetseiten von Anbietern von Finanzprodukten auf Unternehmensebene sorgt für Ernüchterung. Denn noch gibt es keine Transparenz und Vergleichbarkeit über die Art und Weise der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken und -faktoren in der jeweiligen Anlagestrategie und in der Vergütungspolitik. Zusammengefasst steht dort mehr oder weniger – angereichert um Prozess- und Methodenbeschreibungen – derzeit vor allem ein Risikohinweis: „Die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien kann zu Verlusten führen.“

Die Offenlegungsverordnung führt zu einer Klassifizierung der Produkte. Wird das auch überprüft oder ist es eher eine Fortsetzung von Greenwashing?

Die Klassifizierung von Produkten erfolgt über die Artikel 6 bis 9 der Offenlegungsverordnung: Artikel 6, Produkte berücksichtigen Nachhaltigkeitsrisiken. Artikel 8, Produkte integrieren Nachhaltigkeitsfaktoren in die Asset Allocation beziehungsweise Titelselektion. Und die sogenannten dunkelgrünen Artikel 9, Produkte verfolgen ein klares Nachhaltigkeitsziel. Man könnte meinen, dass die Anbieter nun möglichst viele Produkte unter Artikel 9 sehen wollen. Erste Erhebungen zeigen jedoch, dass weniger als 5 Prozent aller Produkte mit Artikel 9 klassifiziert sind. Wenngleich ich persönlich der Meinung bin, dass nur eine enge Interpretation von Artikel 9 der Zielsetzung entspricht, glaube ich auch, dass die Anbieter noch sehr vorsichtig sind. Vorvertragliche Dokumente und auch Webseiten werden in der Regel von der hauseigenen Rechtsabteilung freigegeben und nicht von der Vertriebs- und Marketingabteilung. Diese wird sich aber dann rasch durchsetzen, sobald es Beispiele aus der Peergroup gibt.

Was bedeutet das konkret?

Es bedeutet, dass die Eigendeklaration rasch überprüft werden muss. Ob sich die Finanzmarktaufsichtsbehörden hier zuständig und kompetent fühlen, bleibt abzuwarten. Richtig wäre es allemal, die Einhaltung der klimarelevanten Regelungen ebenso hart durchzusetzen, wie die Einhaltung sonstiger aufsichtsrechtlicher Bestimmungen. Es sind mir aber keine Überlegungen bekannt, die auf den Aufbau entsprechender Kompetenzen bei BaFin in Deutschland oder FMA in Österreich hinweisen.

Wer wird stattdessen für die Zertifizierung zuständig sein?

Vorerst werden verschiedene Zertifizierungsstellen und Ratingagenturen die Überprüfung durchführen. Dies beruht natürlich auf Freiwilligkeit und ist kostenpflichtig für den Produktanbieter. Das FNG-Siegel wird es nur für „Artikel 8 und 9“-Produkte geben. Zudem ist zu erwarten, dass es durch die regulatorischen Reporting-Verpflichtungen keine Extrapunkte mehr für Standardleistungen geben wird.
Das FNG-Siegel baut dabei auf ein ganzheitliches Nachhaltigkeitskonzept mit sozialen Aspekten und der Berücksichtigung von Governance auf. Diese Aspekte sind ja, wie erwähnt, in der Taxonomieverordnung noch ausgeklammert. Daher sind vielleicht in einem ersten Schritt rein grüne Zertifikate, wie das Ecolabel, besser geeignet.

Die Finanzbranche scheint die neuen Regelungen ohne Gegenwehr aufzunehmen. Hat hier tatsächlich schon eine Veränderung stattgefunden?

Das wäre zu schön, um wahr zu sein. Die Finanzbranche hat erkannt, dass nachhaltige Kapitalanlage sich in den letzten Jahren von einer Nische zum Mainstream entwickelt hat. Die Regulatorik hinkt dem Markt um einige Jahre hinterher. Die regulatorischen Verpflichtungen stellen für viele Anbieter keine nennenswerten Herausforderungen dar.
Die gesamte Branche ist auch bemüht, gebetsmühlenartig zu beteuern, dass nachhaltige Kapitalanlage einen positiven Einfluss auf Risiko und Rendite hat. Dies war auch in den vergangenen 20 Jahren so. Also „Green sells“ – das gilt derzeit noch. Das Gute an der Regulatorik ist aber, dass sie noch da sein wird, wenn sich Grün vielleicht nicht mehr durch Outperformance oder risikomindernde Wirkung selbst verkauft. Solange Nachhaltigkeit mit Profitstreben im Einklang steht, wird es kaum Widersacher geben.

Wird sich an dem grünen Profitstreben zukünftig etwas ändern?

Nicht in allen Branchen und Wirtschaftstätigkeiten. Erdölprodukte werden nicht gänzlich verschwinden, so dass es irgendwann wieder rentabel wird, in derartige Geschäftsmodelle zu investieren. Man sollte auch meinen, dass kein moralischer Mensch in Rüstungsaktien investiert. Aber in der aktuellen Ausgabe eines deutschsprachigen Wirtschaftsmagazins wird der Kauf von Rüstungsaktien als Sicherungsstrategie gegen die geopolitischen Krisen, wie sie derzeit an verschiedenen Orten der Welt am Brodeln sind, gepriesen. Dank Regulatorik wird es zukünftig also nicht mehr so leicht möglich sein, Rüstungsaktien zu kaufen.

Herr Zeilinger, vielen Dank für das Gespräch und Ihre Einschätzungen.

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